Anne Dröge: Julian, beschreibe doch mal kurz die Idee hinter eurem Geschäftsmodell.
Julian Reitze: Gemeinsam mit meinem Co-Founder traten wir 2015 als Studenten an der Universität Stuttgart an. Wir wurden von der Idee angetrieben, Einwegkunststoffe in der Verpackungsindustrie nachhaltiger zu gestalten. Ein scheinbar kleiner Störfaktor in unserem Privatleben, nämlich Kaffeekapseln, führte uns in eine neue Welt. Damals dominierte Aluminium den Markt, doch wir suchten nach nachhaltigeren Lösungen. Obwohl wir als Wirtschaftsingenieure neu in diesem Bereich waren, tauchten wir tief in die Welt der Materialien und Kunststoffe ein. Unsere Suche führte uns zu einer innovativen Idee: Biokunststoffe aus pflanzlichen Zuckern in Kombination mit regional gewonnenen Holzfasern aus Baden-Württemberg. Diese Entdeckung war die Initialzündung für unser erstes Produkt – Kaffeekapseln, die wir seit 2018 unter unserer eigenen Marke vermarkten.
Anne Dröge: In welchem Stadium befindet sich euer Produkt?
Julian Reitze: Irgendwann entschieden wir uns für einen Wandel. Wir bewegten uns weg vom Kaffeehändler oder der Vermarktung einer Consumer-Marke hin zu einem Unternehmen für Verpackungstechnologie – das ist es, was wir heute sind. Im Laufe der Zeit erhielten wir Anfragen aus verschiedenen Branchen, in denen Kunststoffe verwendet werden. Der Bedarf war besonders bei Einwegformen wie klassischen Verpackungen für Joghurtbecher, Käse und vieles mehr gegeben und die Frage war, ob wir nicht einen nachhaltigen Ansatz auf Basis unseres Holzmaterials verfolgen könnten. Das führte uns in die Agrarwelt, wo wir seit zweieinhalb Jahren funktionale Verpackungen für Schlupfwespen für den Maisanbau herstellen. Mittlerweile ist unser Hauptbetätigungsfeld die Kosmetikindustrie, in der wir uns spezialisiert haben. Das umfasst Verschlüsse für Cremetiegel, Ölbadflaschen und Lippenpflegestifte – alles auf Basis unserer Technologie. Kaffeekapseln vermarkten wir zwar nach wie vor B2C, fokussiert haben wir uns jedoch auf B2B-Kunden sowie insbesondere auf die Verpackungstechnologie.
Anne Dröge: Wer sind deine Mitstreitenden?
Julian Reitze: Im Management-Team haben wir Stefan Zender, der gemeinsam mit mir das Unternehmen 2015 gegründet hat. Stefan kümmert sich hauptsächlich um Vertrieb und Marketing, während ich mich auf das Engineering konzentriere. Inzwischen haben wir ein Team von 10 Personen aufgebaut, das sich gut etabliert hat – von Expertinnen und Experten in Biochemie, Materialentwicklung und Produktionstechnik bis zu unserem Vertriebs- und Marketing-Team.
In Bezug auf Investorinnen und Investoren konnten wir eine größere Runde, vor allem durch Business Angels aus dem Raum Stuttgart, aber auch aus Zürich bis Berlin, gewinnen.
Anne Dröge: Was ist euer USP?
Julian Reitze: Unser USP hat sich so ein wenig gewandelt. Am Anfang war dieser sehr fokussiert auf das Material. Mittlerweile ist der USP unser ganzheitlicher Ansatz Wir haben verstanden, dass die Welt der nachhaltigen Verpackungslösungen vor unserem Eintritt sehr fragmentiert war und noch ist. Ich nehme jetzt mal als Beispiel den Bereich Kosmetik.
Unsere Kundschaft hatte bis dato mit mehreren Lieferanten zu tun, die an einen Tisch gebracht und koordiniert sowie alle Schnittstellen überblickt werden mussten. Diese Komplexitäten von Material, über Produktdesign bis hin zum Werkzeugbau und Abfüllung zu bewerkstelligen, war sehr mühsam. Und genau da ist unser Ansatz. Wir haben verstanden, dass es in Bezug auf solche nachhaltigen Lösungen, die schon an sich sehr komplex sind und eigentlich alles auf den Kopf stellen, was man bisher in dieser Wertschöpfungskette hatte, sehr sinnvoll ist, wenn man das Ganze als Komplettpaket anbietet. Wir begleiten unsere Kundinnen und Kunden von der Produktidee bis zum fertigen Produkt, übernehmen das Thema Werkzeugbau und stimmen das Produktdesign ab. Wir beraten außerdem, wie dies im Anschluss beworben werden darf, machen Kompatibilitätstests im eigenen Labor. Der holistische Ansatz ist heute unser Kern-USP.
Anne Dröge: Welche Tiefen habt ihr durchlaufen?
Julian Reitze: Ich glaube, alles, was die Startup-Welt an Höhen und Tiefen grundsätzlich bereithält, haben wir erlebt. Nach dem Start bei 'Die Höhle der Löwen' haben wir uns schnell auf B2B konzentriert, weil es dort unserer Einschätzung nach eher einen Markt für uns gibt. Wir haben uns auf das Hotelgeschäft mit Fokus auf Business-Hotels in ganz Europa konzentriert. Jedoch war der Markt für Hotels aufgrund von Corona zu diesem Zeitpunkt nicht der beste. Das Thema Kosmetik- und Agrar-Verpackung hat uns in dieser schwierigen Zeit sicherlich gerettet.
Anne Dröge: Inwiefern ist “Regionalität” ein wichtiger Bestandteil eures Handels?
Julian Reitze: Unsere wesentlichen Lieferanten sind alle in Baden-Württemberg ansässig. Das gilt jedoch nicht für die Biopolymere, denn die kommen vorwiegend aus den USA. Gerade beim Thema Holz, Werkzeugbau und Automationstechnik versuchen wir, uns hier vor Ort zu bedienen, sei es von Arburg, Festo oder Schmalz. Auch im Bereich unserer Kunden wird es überregionaler, aber auch hier haben wir bereits im Hotelbereich einen gewissen Kern, der hier in Baden-Württemberg sitzt. Das ist für uns ein sehr wichtiges Thema.
Generell muss man auch sagen, dass die Förderlandschaft in Baden-Württemberg sehr gut ist. Wir haben einige Förderungen vom Land erhalten, die uns immer wieder einen Schritt weiter gebracht haben: Startup BW Protect, Innovationsgutscheine, Invest BW. Die Vielzahl an Programmen ist toll und in der Bearbeitung nicht überbürokratisiert. Eine Herausforderung war für uns jedoch, einen geeigneten Standort für eine kleine Industriehalle zu mieten. Viele Flächen sind riesig oder reine Büroräume. Mit einer kleinen Produktion und deren Anforderungen für angemessenes Geld etwas zu finden, war schwierig. Wir sind froh, in Filderstadt etwas Geeignetes gefunden zu haben.
Anne Dröge: Was ist aktuell eure größte Challenge?
Julian Reitze: Die Finanzierung ist immer ein Thema. In den letzten zwei Jahren hat sich der Markt zumindest nach meiner Beobachtung verschlechtert. Es ist schwierig, an Kapital zu kommen. Auch die Bewertungen in diesem Zusammenhang gestalten sich schwierig. Denn wir stehen mit dem, was wir tun, im Wettbewerb mit Start-ups, die zum Beispiel im Vereinigten Königreich oder den USA ansässig sind. Dort sind die Finanzierungsmöglichkeiten völlig anders und in einer ganz anderen Dimension als bei uns. Das ist eine Herausforderung, wenn man in einem globalen Markt präsent sein möchte, wo es darum geht, das beste Konzept zu haben und dieses Konzept dann auch entsprechend finanziert werden muss. Wir können immer nur kleine Schritte machen und zum Beispiel ein oder zwei Mitarbeitende einstellen. Mit anderen finanziellen Mitteln stellen andere möglicherweise direkt ein Team von fünf Leuten ein – besonders im Bereich Forschung und Entwicklung und wenn es darum geht, bei größeren Investitionen in mehrere Projekte gleichzeitig zu starten. Man muss auch gut überlegen, ob man bei Kundenprojekten in Vorleistung gehen kann. Das sind Faktoren, die uns hier wesentlich beschäftigen.
Anne Dröge: Was bedeutet für dich – in Bezug auf dein Business – das Schlagwort “Nachhaltigkeit”?
Julian Reitze: Wir legen großen Wert darauf. Nachhaltigkeit ist für uns ein Herzensthema. Das fängt bei kleinen Dingen an: Als wir hier eingezogen sind, haben wir das gesamte Unternehmen auf LED umgestellt, obwohl wir eigentlich kein großes Budget dafür hatten. Außerdem haben wir uns frühzeitig mit Lösungen beschäftigt, um die Abwärme aus unserem Prozess im Winter zur Beheizung unserer Halle zu nutzen. Mittlerweile fahren wir ein Auto, das elektrisch ist. Wir versuchen, Flugreisen zu vermeiden und nutzen stattdessen häufig die Bahn. Ich glaube, die Leute, die bei uns arbeiten, haben alle den Antrieb, dass ihnen das Thema Nachhaltigkeit wichtig ist. Wir haben eine sehr junge Truppe. Das älteste Teammitglied ist etwa 40 Jahre alt und die meisten sind in ihren 20ern. Bei uns ist dieses Bewusstsein für Nachhaltigkeit in der DNA vorhanden und wir hinterfragen Dinge täglich. Die Vegetarier-Quote bei unseren Events im Team ist hoch, das sagt vermutlich schon einiges.
Anne Dröge: Gibt es ein unternehmerisches Vorbild für dich?
Julian Reitze: Der typische deutsche mittelständische Unternehmer, der sein Unternehmen von Null aufgebaut und in der Garage angefangen hat. Das ist die Generation, die langsam ausscheidet. Für mich sind das Vorbilder, die sich durch Bootstrapping hochgekämpft haben. Stefan und ich haben auch mit nichts angefangen und kommen nicht aus Unternehmerfamilien. Wir haben unsere Werkstudentengehälter gespart, haben am Anfang lange überlegt, welchen Schraubenzieher wir uns leisten können. Ich erinnere mich noch daran, wie ich einmal mit einem Automatisierungstechniker telefoniert und versucht habe, überzeugend genug zu sein, um Komponenten herauszuschlagen. Irgendwann haben wir dann auf einem Autobahnparkplatz Linearmodule gegen zwei Kisten Bier getauscht, die bei ihnen „übrig“ waren. Solche Erfahrungen prägen einen. Wir haben uns von Grund auf hochgearbeitet, bis dann die ersten Gelder von Business Angels kamen.
Anne Dröge: Wenn du einen Wunsch in Hinblick auf deine Idee frei hättest – was würdest du dir wünschen?
Julian Reitze: Ich wünsche mir profitables Wachstum für dieses Jahr.
Anne Dröge: Was sind die 3 wichtigsten Eigenschaften, die dich als Unternehmer auszeichnen?
Julian Reitze: Ich würde sagen, die wichtigsten Eigenschaften sind Hartnäckigkeit, eine gewisse Zahlen-Affinität und die Empathie für die Menschen in meinem Umfeld.
Weitere Fragen aus der Runde des Regionalbüros Kirchheim-Nürtingen:
Christian Bell, Senior Business Architect iteratec GmbH: Entstehen eure Innovationen durch zielgerichtete Entwicklung oder durch kundengetriebene Innovation?
Julian Reitze: Es ist stark kundenorientiert. In der Kosmetikindustrie beziehen wir uns eher auf bestehende Produkte wie Verschlüsse, Sprühaufsätze und Refill Systeme. Unser Fokus liegt darauf, diese bestehenden Produkte durch unseren nachhaltigen Materialansatz zu ersetzen und dabei die Kompatibilität zu den bereits vorhandenen Produkten sicherzustellen.
Eine Strategie ist es, Partnerschaften einzugehen. Im letzten Jahr haben wir zum Beispiel zwei Partnerschaften mit großen Glasherstellern abgeschlossen. Eines dieser Unternehmen ist die deutsche Firma Gerresheimer, die andere ist eine spanische Firma, die sich auf Pipetten spezialisiert hat. Der Ansatz besteht darin, gemeinsam zu agieren und die Vertriebskraft und Marktzugänge der großen Glasunternehmen zu nutzen, die bereits im Sortiment vieler Kosmetikunternehmen vertreten sind. Auf diese Weise bieten wir gezielte Komplettlösungen mit unseren Verschlüssen für bestehende Produktserien an.
Michael Mai, Geschäftsführer Mai&Mai GmbH: Es hat mich überrascht zu erfahren, dass die Branche so zersplittert ist und dass einzelne Parteien an den Tischen sitzen, anstatt als Komplettanbieter aufzutreten. Gibt es dafür einen bestimmten Grund?
Julian Reitze: Ich glaube, das ist darin begründet, dass die Branche in dem Bereich einfach gerade im Umbruch ist. Sagen wir mal klassische Kunststoff-Verarbeiter, die dieses komplette Portfolio natürlich so anbieten, wie wir das jetzt mit den neuen Themen machen, gibt es ja bereits. Was wir aktuell erleben, ist, dass viele dieser großen etablierten Player, sich mit diesen neuartigen Werkstoffen noch sehr schwertun, weil es eben andere Werkzeugtechnik, andere Prozess-Führung erfordert und bestehende Prozesse stört.
Oft sind da eben dann kleinere Unternehmen erst einmal innovativer oder risikofreudiger oder eher bereit, solche Projekte umzusetzen. Wir haben das konkret bei zwei Projekten erlebt, die wir im Prinzip dann erben konnten, wo der Kunde erst einen nachhaltigen Ansatz mit so einem Konglomerat, gefahren hat und damit auf die Nase gefallen ist.
Ich gehe davon aus, dass früher oder später, wenn sich die Dinge dann in größerer Serie durchsetzen, auch die etablierten Player mitmachen werden, dort eigene Kompetenzen aufgebaut werden. Man kann auch bereits beobachten, wie Startups aufgekauft werden, um diesen Schritt zu meistern.
Peter Greiner, Managing Shareholder Grevest Beteiligungs GmbH: Was momentan sehr wichtig ist, ist das WIE. WIE definiert man Nachhaltigkeit? Hast du das Gefühl, dass es eine Basis gibt, auf der man gemeinsam aufbauen kann?
Julian Reitze: Hier stehen sich aktuell zwei Welten gegenüber: Auf der einen Seite haben wir die industrialisierte Welt, die über Know-how und Skalierung seit den Fünfzigern aufgebaut wurde. Dafür wurde auch die Entsorgung seit den Neunzigern durch das duale System initiiert, was sich bis heute entwickelt hat. Offen gesagt, ich stehe dem sehr skeptisch gegenüber, weil ich die Recyclingraten für viel zu geringhalte. Und wenn man dann sieht, dass von dem, was gesammelt wird, 65% energetisch verwertet werden, kann man meiner Meinung nach nicht von materiellen Kreisläufen sprechen. Ich halte die Lösung, die wir heute haben, für nicht ausgereift. Und dagegen steht natürlich eine Lösung, wie wir sie jetzt anbieten, die ganz am Anfang steht und heute noch gar nicht in das Konzept dieses Systems passt.
Wenn ich sage, dass sie nicht in das System passt, meine ich nicht, dass sie nicht recycelbar ist, weil für mich– und ich glaube, da gibt es auch einen breiten Konsens – bedeutet recycelbar erst einmal, dass es ein System gibt, wo ich das einsammle und entsorge. Das sagt noch nichts darüber aus, was damit passieren wird. Dann sprechen wir darüber, ob es verbrannt wird oder ob man daraus wirklich ein Regranulat machen kann. Für welche Produkte kann man das Regranulat verwenden und so weiter? Für solche Materialien, wie wir sie heute verwenden und wie auch viele andere junge, innovative Unternehmen sie heute verwenden, gibt es noch gar keine Nachfrage nach Rezyklat. Selbst wenn ich heute unsere Verschlüsse über das duale System einsammle und in der Sortierung entsprechend trenne, habe ich noch keine Nachfrage für das Rezyklat. Solange niemand da ist, der mir das Rezyklat abkauft, wird es auch keinen Kreislauf in dem Sinne geben. Ich glaube, das muss wachsen und entstehen. Mein Optimismus für das Thema liegt darin, dass ich fest davon überzeugt bin, dass das Erdölzeitalter früher oder später auslaufen wird.
Früher oder später wird es immer teurer werden, auf Rohöl basierende Kunststoffe zu verarbeiten. Der Materialpreis wird aus meiner Sicht steigen, es wird politisch und gesellschaftlich schwieriger, so etwas überhaupt noch im Sortiment zu haben. Mit dem CO2-Preis, der über den Emissionshandel steigt, und der Gesetzgebung im Bereich Packaging Waste wird das auch noch schärfer werden. Ich bin optimistisch mit unserem Ansatz, der darauf beruht, dass wir am Anfang der Wertschöpfungskette Pflanzen als Rohstoff benutzen und nicht Erdöl und damit die Entsorgungsfrage nicht in den Mittelpunkt rückt. Damit sind wir auf einem sehr zukunftsträchtigen Weg, und früher oder später wird sich dann auch die Entsorgungsseite entsprechend entwickeln, dass man tatsächlich von Kreisläufen sprechen kann.
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