All diese Trends stellen für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, insbesondere in Zeiten des (Fach-)Kräftemangels, große Herausforderungen dar. Die regionale Future Work Arbeitsgruppe möchte hier Hilfestellung bieten und im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Future Work“ für Unternehmerinnen, Unternehmer und alle Interessierten eine Plattform des Wissens- und Erfahrungsaustausches bieten.
Auftaktveranstaltung der Reihe „Future Work“ am 18. Oktober 2023 mit Raphael Gielgen, Andrea Kurz und Rudolf Kast
Am 18. Oktober 2023 fand im Kreativpark Lokhalle in Freiburg die Auftaktveranstaltung der Eventreihe „Future Work“ mit einer Keynote Rede von Raphael Gielgen, Trendscout Future of Work Life & Learn bei Vitra statt. Raphael Gielgen bereist in seiner Funktion die ganze Welt und bezeichnet sich selbst als Dyson-Staubsauber: Er saugt wahllos aktuelle Trends der Arbeitswelt auf, sortiert sie nach Relevanz und spuckt sie anschließend wieder aus, um seine Erkenntnisse mit allen Interessierten zu teilen. Im Anschluss an seinen Impulsvortrag diskutierte Raphael Gielgen mit Andrea Kurz, Geschäftsführerin der JobRad GmbH und Rudolf Kast, Inhaber von KAST: DIE PERSONALMANUFAKTUR.
Die Zukunft wurde noch nie schneller zur Gegenwart
Bereits vor drei Jahren ahnte Raphael Gielgen, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sich zukünftig verabreden würden, um zur Arbeit zu gehen – dass also Home Office oder mobiles Arbeiten selbstverständlicher Bestandteil des Arbeitsalltags werden würden.
Insgesamt sei die Zukunft noch nie schneller zur Gegenwart geworden. Trends und Entwicklungen benötigen heute nur noch wenige Monate, um sich in der Breite durchzusetzen. ChatGPT sei hierfür ein eindrucksvolles Beispiel. So gebe es heute bereits über 6.500 verschiedene KI-Tools (www.ki-suche.io), z.B. in Kategorien, wie „Text to Video“, „Tabellenkalkulation“, „Chat-App“, „Recherche“, „Bildbearbeitung“ etc. Auch in der Rüstungsindustrie sei die Beschleunigung deutlich sichtbar. So habe die Entwicklung des autonomen Flugzeuges XQ-58A Valkyrie von der Idee bis zum Demoflug nur zweieinhalb Jahre gedauert.
Notwendige Skills für den Arbeitsmarkt von heute und morgen sind u.a. soziale Intelligenz, Belastbarkeit, Kreativität
Um zu lernen, mit den rapiden Veränderungen der Welt umzugehen, braucht es laut George Monbiot, Columnist des Guardian, Metafähigkeiten, wie Selbstentfaltung, soziale Intelligenz, Offenheit, Belastbarkeit und Kreativität. Diese Fähigkeiten können erlernt werden und helfen dabei, diejenigen Kernkompetenzen zu erwerben, die plötzliche Veränderungen erfordern.
Die Vorteile des Home Office: weniger Pendeln, mehr Flexibilität
Eine im Mai 2023 in der New York Times veröffentliche Studie zeigt: Arbeiterinnen und Arbeiter haben kein Problem mit dem Büro an sich. Sie haben vor allem ein Problem mit dem Pendeln zur Arbeit (knapp 60 Prozent der Befragten). Weitere geschätzte Vorteile des Home Office sind laut der Studie die eingesparten Kosten für Sprit und Mittagessen (44 Prozent), die zeitliche Flexibilität (42 Prozent) oder mehr Zeit, um in Ruhe für sich zu arbeiten (35 Prozent).
Das Büro spielt eine zentrale Rolle bei Unternehmenskultur und Arbeit
Laut 68 Prozent der in einer repräsentativen Umfrage befragten Unternehmen ist es zukünftig egal, wo der Mensch sitzt, um seine Arbeit zu machen. Auch Dror Poleg, Experte für die Zukunft der Arbeit und der Städte, findet: „Das Büro ist mehr als nur ein Ort. Es verkörpert ein Wirtschaftssystem, einen technologischen Entwicklungsstand und einen bestimmten Zeitpunkt. Dieser Zeitpunkt ist vorbei.“
Raphael Gielgen glaubt dennoch nicht, dass das Büro ein komplett überholtes Konzept ist. So spiele die räumliche Verortung der Arbeiterinnen und Arbeiter u.a. eine zentrale Rolle bei der Unternehmenskultur, den Arbeitsweisen und Arbeitsmodellen.
Der Wohlstand von morgen basiert auf Geschäftsmodellen, die noch entwickelt werden müssen
Laut McKinseys Gesamtreport 2021 schätzen Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer, dass sie im Jahr 2026 die Hälfte ihrer Umsätze mit Produkten, Dienstleistungen und Geschäftsideen erwirtschaften werden, die bisher nicht entwickelt wurden. Insgesamt haben Expertinnen und Experten weltweit 20 Zukunftsmärkte identifiziert, u.a. in den Kategorien Umwelt (Platz 1) und Lifestyle (Platze 2).
Wie arbeiten und leben wir in Zukunft? Beispiel „Woven city“ von Toyota
Ein Beispiel dafür, wie wir in Zukunft leben und arbeiten könnten, ist die „Woven city“ von Toyota. Sie entsteht am Fuß des japanischen Mount Fuji und soll eine Prototyp-Stadt werden, in der Menschen, Gebäude und Fahrzeuge über Daten und Sensoren miteinander verbunden sind. Weitere solcher innovativen Arbeits- und Lebensräume entstehen z.B. in Saudi Arabien (THE LINE), den USA (Telosa), Malaysia (BiodiverCity Penang) oder China (Net City).
Außerdem sei der Innovationsdruck, alleine durch die Möglichkeiten künstlicher Intelligenz, so enorm gestiegen, dass es cross-funktionale Teams brauche, also schnelle Strukturen in dezentralen Systemen, die agil in Teams Aufgaben bearbeiten. Dies bedeute eine große Umstellung für Unternehmen, sei aber in Zeiten, in denen potentiell alle Menschen mit Internetanschluss mit ins Innovationsrennen gehen können, unausweichlich.
Zum Aufbau von Innovationsökosystemen braucht es sechs Schlüsselaktionen
Laut McKinsey & Company braucht es sechs Schlüsselaktionen zum Aufbau eines Innovationsökosystems:
- Zielsetzung und kühne Vision
- Cluster- und Partnerstrategie
- Kapital und Finanzierung
- Talent- und Community-Bildung
- Immobilien, Infrastruktur und Ortsgestaltung
- Vielfalt, Gerechtigkeit, Integration
Betrachtet man die vier branchenübergreifenden Standortfaktoren „Verfügbarkeit erneuerbarer Energien vor Ort, Verfügbarkeit geeigneter Fachkräfte, Anschluss an Hochgeschwindigkeits-Breitband und Anschluss an Verkehrsinfrastrukturen“, so schneidet Hamburg laut einer Untersuchung des Instituts für Wirtschaft bundesweit am besten ab. Baden-Württemberg befindet sich mit 47,9 von 100 möglichen Punkten auf dem neunten Platz und somit im hinteren Mittelfeld der Bundesländer.
Mit welchen Tools arbeiten wir in Zukunft? KI und maschinelles Lernen als Schlüsseltechnologien
Laut einer Befragung unter Führungskräften der obersten Führungsebene wird künstliche Intelligenz bzw. maschinelles Lernen branchenübergreifend die zentrale Rolle bei der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle spielen. Auch dem Internet der Dinge wird in den nächsten Jahren branchenübergreifend eine klare Relevanz zugesagt. Technologien, wie Roboter, virtuelle Realität und 3D-Druck scheinen zwar in hochentwickelten Industriezweigen in naher Zukunft an Relevanz zu gewinnen, sich aber in anderen Branchen weit weniger durchzusetzen. (McKinsey Global Survey on new-business building, 2022)
Laut Raphael Gielgen müssen wir einerseits lernen, die neuen Technologien zu verstehen, und andererseits den Wert bzw. das wirtschaftliche Potenzial der Technologien für den eigenen Unternehmensbereich einzuschätzen.
Der Roboter als Retter in Zeiten des (Fach-)Kräftemangels? Freethink experimentiert
Freethink, die koreanische Suchmaschine, hat Ende 2022 das weltweit erste roboterfreundliche Gebäude in Betrieb genommen. In dem Gebäude kommt auf je zehn Mitarbeitende ein Roboter. Diese können sich im Gebäude frei bewegen, alle Mitarbeitende können den Robotern einfache Aufträge erteilen. In dem Experimentierraum sollen sich die Menschen spielerisch an die Präsenz der Roboter gewöhnen und Innovationen gefördert werden.
Das Metaversums wird Auswirkungen auf alle Branchen haben
Laut einer Einschätzung der Deloitte Consulting GmbH wird das Metaversum jede Branche revolutionieren, sowohl in Bezug auf interne Prozesse als auch auf externe Angebote und Produkte. Insbesondere die Automobilindustrie, der Einzelhandel und die Konsumgüterbranche, der Technologiesektor und die Medien- und Unterhaltungsindustrie seien von der technologischen Revolution betroffen.
Mit wem arbeiten wir in der Zukunft zusammen? Soft Skills und Learning on the job werden wichtiger
In allen westlichen Industrieländern ist die Arbeitslosenquote so gering wie noch nie. Laut einem Handelsblatt-Artikel (Juni 2022) führt dies dazu, dass Unternehmen nicht länger nur Allround-Profis suchen, sondern auch Fachkräfte mit Teilqualifikationen. Was zählt, sind die sogenannten Soft Skills – alles andere kann und muss ggf. im Unternehmen „on the job“ gelernt werden. Die Firma Bosch plant z.B., in den nächsten fünf Jahren mit einer Milliarde Euro die Umschulung von 80.000 Mitarbeitenden, die von der Verbrennertechnik abhängig sind, voranzutreiben.
Wo arbeiten wir in der Zukunft? Es braucht weiterhin reale Treffpunkte und Räume für Rituale
Trotz der bereits verfügbaren Techniken, virtuelle Arbeitsräume zu schaffen, ist Raphael Gielgen davon überzeugt, dass wir nur zu wahren Emotionen fähig sind, wenn wir mit all unseren Sinnen erfahren und erfühlen können. Daher brauche es neben den virtuellen Arbeitsräumen auch immer noch reale Treffpunkte, in denen Menschen zum Arbeiten aufeinandertreffen. Außerdem brauche es reale Räume für Rituale, die Intimität und Vertrauen schaffen – z.B. über gemeinsame Kaffeepausen oder Mittagessen.
Räume für Innovation und Fortschritt – Flexibilität spielt zentrale Rolle
Um Teams effektiv in gemeinsamen Büroräumen zusammenarbeiten zu lassen, sei es hilfreich, die Mitarbeitenden ihren Arbeitsplatz selbst gestalten zu lassen – mit flexiblen Möbeln und Trennsystemen, die z.B. ein offenes Büro in kurzer Zeit um einen geschlossenen Konferenzraum ergänzt.
Hybrides Arbeiten ohne harte Regelung bei JobRad
Andrea Kurz, Geschäftsführerin der JobRad GmbH ist davon überzeugt, das physische Zusammenarbeit die beste ist. Und dennoch hat sich JobRad für eine Vertrauenskultur und hybride Arbeit und gegen harte Regelungen entschieden. Die Mitarbeitenden sollen freiwillig auf den schönen JobRad Campus kommen wollen. Sie entscheiden selbstständig, für welche Themen es Sinn macht, daheim zu bleiben und für welche Themen sie sich auf dem Campus verabreden. Die Veränderung hat nach Abflauen der Corona-Pandemie seine Zeit gebraucht aber das Vertrauen von JobRad in seine Mitarbeitenden wurde nicht enttäuscht: Das Konzept funktioniert.
Neue Technologien entstehen in selbstorganisierten Teams
Treiber für Produkt- und Unternehmensentwicklung sind (neue) Technologien. Für Rudolf Kast steht die Technologie aber nicht im Zentrum sondern der Mensch, der die Technologie kreiert. Damit er diese kreieren kann, muss er mit Lust und Freude arbeiten. Unternehmerinnen und Unternehmer müssen sich also die Frage stellen, wo sie ihren Mitarbeitenden wieviel Freiheit lassen und ob sie ihnen das Unternehmergen zutrauen. Es müssen die richtigen Menschen zusammengebracht werden und sich abteilungsübergreifend selbst organisieren dürfen – nicht in völliger Freiheit aber in selbstorganisierten Teams. Über die Selbstentscheidung in Teams entsteht Kreativität und daraus wiederum neue Technologie.
Die Zukunft liegt (oft) in der Herkunft des Unternehmens
Bei der Zusammenstellung und Etablierung solcher selbstorganisierten Teams kommt es laut Raphael Gielgen auf Freiwilligkeit und Sichtbarkeit an: Die Mitglieder müssen selbstmotiviert agieren, ihre Methoden und Techniken müssen für alle Mitarbeitenden transparent sein, um auch Skeptiker zu überzeugen. Oft mache es Sinn, sich in solchen Teams den Gründungsimpuls des Unternehmens in Erinnerung zu rufen und eine Dynamik wie in jungen Unternehmen zu etablieren.
Unternehmenszweck/Sinnstiftung beugt Quiet Quitting vor
Für Andrea Kurz hängt die Leistungsfähigkeit von Unternehmen bzw. die Mitarbeitermotivation an zwei Kernfragen: Kann sich der Mitarbeitende mit dem Unternehmenszweck identifizieren? Und kann sich der Mitarbeitende mit dem Beitrag identifizieren, den er/sie selbst für die Erreichung des Unternehmenszweckes leistet? Werden beide Fragen positiv beantwortet, so werden Forderungen, wie z.B. die nach einer 4-Tage-Woche zweitrangig.
Rudolf Kast sieht in der stetigen Kommunikation des Betriebszweck von Unternehmen, also deren Daseinssinn, eine existentielle Managementaufgabe von Führungskräften. Aus Kasts Erfahrung wird der Betriebszweck, seine Evolution in der Zeit und der Beitrag der Mitarbeitenden auf betrieblicher Ebene zu wenig diskutiert. JobRad sei hier ein echtes Vorbildunternehmen.
Betriebliche Demokratie fördert Innovationen
Rudolf Kast ist ein Verfechter betrieblicher Demokratie, d.h. von Mitbestimmung und partizipativen Prozessen in Unternehmen. Dies fördere die Identifikation mit dem Unternehmen, den Spaß an der Arbeit und somit die Innovationskraft und den Unternehmens Erfolg. Die Etablierung demokratischer Prozesse auf betrieblicher Ebene sei somit eine wichtige Aufgabe von Führungskräften.
Die 4-Tage-Woche – ein gutes und realistisches Konzept?
Die 4-Tage-Woche scheint laut Raphael Gielgen aktuell nicht mit der Wirtschaftslage, der geringen Arbeitslosigkeit und dem (Fach-)Kräftemangel vereinbar zu sein. Auch Rudolf Kast stellt sich die Frage, wo die dringend benötigten Talente herkommen sollen, zumal, wenn hypothetisch die Wochenarbeitszeit um ein Fünftel verringert wird. Das Konzept sei ohnehin keine gute Lösung, denn mit der 4-Tage-Woche presse man sich wieder in ein festes Schema, dass nicht zwingend für alle passt. Wichtig sei es vor allem, Freude und Spaß an der Arbeit zu vermitteln und ggf. über flexiblere Modelle, wie z.B. eine 9-Tage-Woche (5- und 4-Tage-Woche alternieren) nachzudenken.
Future Work in kleinen Unternehmen im Zusammenschluss angehen
Für kleine Unternehmen ist es oft schwerer, sich mit der Zukunft zu beschäftigen, weil die Gegenwart allein schon so groß und herausfordernd ist. Dennoch sei unternehmerische Fürsorge auch hier das Zauberwort. Rudolf Kast bekräftigt, dass Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber seit Urzeiten per Gesetz eine Fürsorgepflicht für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hätten. Kleinen Unternehmen rät er, sich mit anderen kleinen Unternehmen zusammenzutun und im Verbund die Herausforderungen, die die Arbeitswelt von morgen bereithält, anzugehen.
Veranstaltungsdossier Future Work_Raphael Gielgen_20231018
Veranstaltungsbericht 18.10.2023 (PDF)
Kontakt bei Interesse an zukünftigen Future Work-Events im Raum Freiburg: freiburg@bwcon.de
Haben Sie Interesse bei weiteren Veranstaltungen dieser Art dabei zu sein? Dann wenden Sie sich an Ana Breton.
Ansprechpartnerin
Ana Breton
Netzwerk- und Kooperationsmanagerin